21. März 2023
Liebe alle,
wir melden uns mitten in den Semesterferien und ein bisschen außer der Reihe, weil über das Wochenende hochschulpolitisch außerordentlich viel passiert ist. Es geht in diesem Newsletter erstens um die Kundgebung ‘Nein zum #WitzZeitVG’ vor dem BMBF in Berlin, die an diesem Freitag (24.3.) stattfinden soll, und zweitens um die Eckpunkte zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), die das BMBF am Freitag letzter Woche veröffentlicht hat, und die Anlass für die Protestaktion sind.
Wenn Ihr Lust habt, Euch im Sommersemester für gute Arbeit an der Hochschule aktiv einzubringen, schreibt uns gerne eine Mail an unikassel.unbefristet@posteo.de.
Viele Grüße von der Beschäftigteninitiative Eures Vertrauens
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1. Kundgebung ‘Nein zum #WitzZeitVG’ in Berlin
Am Freitag hat das Bundesministerium für Forschung und Bildung Eckpunkte zur Novellierung des WissZeitVG, welches die Arbeitsbedingungen für den Mittelbau an den Unis regelt, vorgelegt. Die Eckpunkte wurden von den Vertreter:innen des Mittelbaus, der Beschäftigteninitiativen und der Gewerkschaften und auch von vielen Professor:innen scharf kritisiert. Die Pläne ändern nichts am Befristungsirrsinn an den Hochschulen und sind dazu geeignet, die Situation von Postdocs erheblich zu verschlechtern. (Näheres zur Kritik der Eckpunkte unter Punkt zwei.)
Die Erfahrungen der letzten Jahre – und die Tatsache, dass ein solcher Vorschlag wie die Eckpunkte überhaupt unterbreitet wird – zeigen, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass die Politik, die Hochschulleitungen oder Professor:innenschaft die Dinge schon irgendwie in unserem Sinne regeln werden. Wir müssen uns Gehör verschaffen und Druck auf die Entscheidungsträger:innen ausüben. Deshalb unterstützen wir den Aufruf des bundesweiten Netzwerks für gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) zu einer Protestkundgebung vor dem BMBF in Berlin (Kapelle-Ufer, nähe Hauptbahnhof) an diesem Freitag (24.3.) um 10 Uhr. Das Motto ist ‘Nein zum #WitzZeitVG! Für reale Verhandlungen mit real Beschäftigten! Für eine faire, zukunftsfähige Wissenschaft!’ Einzelne von uns werden auch persönlich anwesend sein. Wenn Ihr ohnehin in Berlin seid, oder spontan Lust auf ein Wochenende in der Hauptstadt habt, kommt zur Kundgebung!
Die GEW hat sich übrigens bereit erklärt, Mitglieder bei der Deckung der Fahrtkosten zu unterstützen. Kontaktiert also rv-huf@gew-nordhessen.de, wenn Ihr nach Berlin fahrt und finanzielle Hilfe gebrauchen könnt.
Und falls Ihr spontan Lust habt, eine kleine Aktion in Kassel zu planen, meldet Euch unter unikassel.unbefristet@posteo.de oder über unsere interne Mailingliste.
2. Eckpunkte zur Novellierung des WissZeitVG veröffentlicht
Die beiden wichtigsten Vorschläge, die in den Eckpunkten enthalten sind, betreffen die Mindestlaufzeit von Verträgen für Promovierende und die Höchstbefristungsdauer von Verträgen für Post-Docs. Wir kommentieren sie im Folgenden.
Der Erstvertrag von Promovierenden soll künftig eine Mindestlaufzeit von drei Jahren haben. Das hört sich erst einmal gut an, allerdings ist hier das Wörtchen ‚soll‘ wichtig. Es handelt sich nämlich um keine verbindliche Vorgabe. Unsere Erfahrungen mit Soll-Vorschriften im Hochschulkontext ist, dass sie permanent umgangen werden. Ein Beispiel sind die Vertragsverlängerungen für wissenschaftlich Beschäftigte bei Kinderbetreuungszeiten, die sogenannte familienpolitische Komponente. Eigentlich ist vorgesehen, dass man pro Kind zwei Jahre Verlängerung beantragen kann. In der Praxis gibt es dann gar keine Verlängerungen (z.B. wenn der oder die Vorgesetzte der Verlängerung nicht zustimmt oder die Stelle drittmittelfinanziert ist), eingeschränkte Verlängerungen, z.B. weil die Schließung des eigenen Fachgebiet geplant ist – oder aber eben vollständige Verlängerungen. Die vorgeschlagene Veränderung wird hier und da sicherlich für etwas längere Verträge sorgen, ändert aber an der Tatsache nichts, dass Vertragslaufzeiten auch kürzer sein können, was insbesondere bei Beschäftigung in Drittmittelprojekten zum Problem werden kann. Davon abgesehen geht die Novellierung ein entscheidendes Problem für promovierende wissenschaftliche Mitarbeiter:innen nicht an. In der Regel steht ihnen lediglich ein geringer Teil ihrer Arbeitszeit für das Erreichen ihres Qualifikationsziels zur Verfügung, und sie verfügen über halbe oder Zwei-Drittel-Stellen. Das hat zur Folge, dass Promotionen vorwiegend in der Freizeit geschrieben werden. Der Vorschlag stellt somit keine grundlegende Verbesserung der Anstellungsbedingungen von Promovierenden dar.
Der umstrittenste Vorschlag betrifft Post-Docs. Hier soll die Höchstbeschäftigungsdauer auf Qualifikationsstellen von sechs auf drei Jahre gesenkt werden. Von den beteiligten Politiker:innen wurde das zunächst als Verbesserung gegenüber dem Status Quo verkauft. Die Vorstellung war, dass Postdocs so schneller auf Dauer- oder Tenure Track-Stellen kommen oder sich frühzeitig entscheiden, aus der Wissenschaft aussteigen. Nun ist allen, die den Hochschulbetrieb kennen, klar, dass es sehr wenige Dauerstellen im Mittelbau gibt, und es sich bei den allermeisten um Hochdeputatsstellen ohne Forschungsanteil mit extrem stressigen Arbeitsbedingungen handelt. Und auch das Tenure-Track-Modell ist in Deutschland nicht wirklich etabliert, und es gibt nach wie vor wenige dieser Art von Stellen. Entsprechend ist die Professur die einzige weithin anerkannte und etablierte Form der Daueranstellung. Vor diesem Hintergrund bedeutet der Vorschlag, dass Post-Docs innerhalb von drei Jahren berufungsfähig werden sollen. Dies stellt in den meisten Fächern – insbesondere dort, wo im Normalfall eine Habilitation verlangt wird – ein unmögliches Unterfangen dar. Allein die Begutachtung einer Habilitationsschrift nimmt oftmals ein halbes Jahr in Anspruch. Der Vorschlag ist also eine Verschlimmbesserung. Er ist ausschließlich dazu geeignet, den Druck auf Postdocs noch mal ganz erheblich zu erhöhen – ohne dies mit Verdauerungsperspektive zu verbinden. Einige würden versuchen, nach den drei Jahren auf hochgradig prekären Drittmittelstellen weiter zu machen, andere würden ohne Erlangung der Qualifikationsziel Habilitation in der Arbeitslosigkeit landen. Angesichts der mauen Aussichten dürften sich viele jüngere Kolleg:innen dazu entscheiden, ihre akademische Laufbahn im Ausland fortzusetzen oder ganz aus dem Wissenschaftsbetrieb auszuscheiden. Statt für Innovation und Exzellenz dürften die Pläne also zu Fachkräftemangel und Ineffizienzen führen und somit das Funktionieren der Universitäten insgesamt gefährden.
Für uns [1] [2] [3], andere Beschäftigteninis [1] [2] [3], aktive Gewerkschafter:innen [1] [2] [3] und Protagonist:innen der #IchbinHanna-Kampagne [1] [2] [3] ist klar: Die Eckpunkte gehören unmittelbar fachgerecht entsorgt. Wir brauchen jetzt einen Systemwechsel, der die Festanstellung nach der Promotion zum Normalfall macht. Die Tatsache, dass die politische Verantwortlichen inzwischen zurück rudern [1] [2], und sich auch aus dem Kreis der Professor:innen erheblicher Widerstand regt [1] [2] [3] – eine kritische Stellungnahme wurde von ca. 1.600 professoralen Kolleg:innen unterzeichnet [1] – stimmt uns hoffnungsfroh. Jetzt ist der Zeitpunkt, um zu klotzen und nicht zu kleckern – und die jahrelang versäumte, grundsätzliche Reform der Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft anzupacken.

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