Am Fuße des Leuchtturms ist es (noch) dunkel – Debattenbeitrag zur Gründung eines Fachbereichs ‚Sustainable Development‘

Kurz vor den Weihnachtstagen 2019 sorgte der Präsident der Universität Kassel, Prof. Reiner Finkeldey, mit einem Vorschlag für Aufsehen: 17 zusätzliche Professuren sollen in einer neuen „Leuchtturm-Einrichtung“ – ein eigener Fachbereich oder ein fachbereichsübergreifendes Zentrum – zu den 17 Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen lehren und forschen. Nach Ansicht des Präsidenten könnten sie die das wissenschaftliche Profil der Universität in diesem Bereich schärfen. Dabei erhielten die existierenden Fachbereiche frische Expertise und die Uni gewönne an (internationaler) Attraktivität bei Studierenden: „In einer Zeit, in der viele Jugendliche eine nachhaltige Sicherung unserer Lebensgrundlagen einfordern, ist es nötig, dass wir als Universität einen kraftvollen und umfassenden Beitrag dazu leisten“, so Prof. Finkeldey im Editorial der Publik vom Dezember 2019.

Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels ist es sicherlich ein hehres Ziel, unsere Uni noch stärker auf Wissenschaft zum Thema ‚Nachhaltigkeit‘ auszurichten. Auch die Einladung des Präsidenten zur uniweiten Debatte seines Vorschlags ist prinzipiell zu begrüßen. Aber darüber darf nachhaltige Wissenschaft – im Sinne nachhaltiger Arbeitsbedingungen an unserer Universität – nicht in Vergessenheit geraten. Sonst bleibt es dunkel am Fuße des Leuchtturms.
So zeigte die im vergangenen Jahr durchgeführte Befragung zum Arbeitsklima an unserer Uni deutlich, dass viele Beschäftigte unter sehr hoher Arbeitsbelastung und beruflicher Unsicherheit leiden. Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven für Beschäftigte fehlen. Das ist kein Problem unserer Universität allein. Doch im Vergleich stehen wir vor allem beim Problem des Befristungsunwesens besonders schlecht da und die Hochschulleitung erhielt für ihren Einsatz in dieser Sache schlechte Noten. Nachhaltige und gute Beschäftigung kann also künftig nicht nur ein Thema in Forschung und Lehre sein –etwa mit Blick auf das achte SDG – sie muss auch fester Bestandteil unserer Universität selbst werden. Wie hoch auch immer der wissenschaftliche Mehrwert eines neuen Nachhaltigkeitszentrums sein mag, der hiesigen Hochschullandschaft fehlt es nicht an wissenschaftlichen Leuchttürmen und entsprechenden Bauprojekten, der wir in Kassel nun noch ein weiteres hinzufügen. Es fehlt an Leuchttürmen für gute Arbeit in der Wissenschaft. Warum also versuchen wir nicht, uns stärker auf diesem noch dunklen Feld zu profilieren und damit an Strahlkraft zu gewinnen?
Aber auch der anscheinend bereits feststehende Fokus von Land und Universität auf den Ausbau von Professuren scheint fragwürdig. Immerhin geht es der hessischen Landesregierung in ihrer Initiative, der wir die neuen Personalmittel für die Professuren zu verdanken haben, doch eigentlich um die Verbesserung der Betreuungsrelation und somit um Nachhaltigkeit in der Hochschullehre. Nun wird diese jedoch überwiegend gerade nicht von Professor*innen abgedeckt, sondern vom sog. akademischen Mittelbau, darin seit einigen Jahren verstärkt von ‚Lehrkräften für besondere Aufgaben‘ (LfbAs) und nicht zuletzt von z.T. äußerst prekär beschäftigten Lehrbeauftragten, die oftmals weit unter Mindestlohnniveau arbeiten. Wie viele dieser für die Betreuungsrelation relevanten Lehrenden könnten eigentlich mit den Mitteln für 17 Leuchtturmprofessuren unbefristet bzw. zu ordentlichen Bedingungen angestellt werden? Dies käme nicht nur den Studierenden zugute. Die meisten Mitglieder des akademischen Mittelbaus sind hoch- und intrinsisch motiviert bei ihrer Arbeit, gerade auch in der Lehre. Sie brauchen nicht zwingend die Aussicht auf eine Professur, um dies auch weiter zu sein. Was sie aber dafür brauchen sind verlässliche und planbare Beschäftigungsbedingungen. Wenn es also gerade auch um nachhaltige Lehre geht, warum sich nicht von der allgemeinen Fixierung auf die Professur als einzig mögliche Dauerperspektive an der Hochschule lösen? Eine Fixierung, von der sich anscheinend auch das Land mit seinem Geldsegen und der Präsident mit seinem Vorschlag noch nicht verabschieden wollen oder können.

Aber wenn ein neuer Fachbereich schon einmal zur Disposition steht, ist damit die einmalige Chance gegeben, nicht nur thematisch Neues zu wagen. Ganz in der Tradition unserer Universität als Reformhochschule, die mit ihren ‚Fachbereichen‘ und ‚Fachgebieten‘ den Lehrstuhlfeudalismus hierzulande zumindest begrifflich schon hinter sich gelassen hat, könnte so ein Fachbereich auch eine neue, demokratischere Struktur erhalten. Ob dies nun zwingend auf das Department-Modell angelsächsischer Prägung hinauslaufen muss, sei dahingestellt. Aber dass Sachentscheidungen genauso wie Personalfragen und Stellenzuschnitte nicht primär der Mikrologik professoraler Zwänge und Erwägungen gehorchen, sollte gerade auch im strategischen Interesse eines neuen Fachbereichs ‚Sustainable Development‘ liegen. Wenn er sich einem genuin interdisziplinären und äußerst dynamischen Querschnittsthema von globaler Bedeutung widmet, muss er auch strukturell auf der Höhe der Zeit sein und keinem deutschen Parochialismus gehorchen, um für internationale Wissenschaftler*innen attraktiver und anschlussfähiger zu sein.         

Wir möchten die von Prof. Finkeldey angestoßene, hochschulweite Debatte mit euch gemeinsam kritisch begleiten, auch mit Blick auf seine Einladung zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung hierzu am 19.2.20, 17:30 Uhr im Gießhaus. Wir laden euch deshalb ein, uns eure Meinungen, Anregungen, Fragen, Wünsche und Hoffnungen zum Projekt der Hochschulleitung zu schicken. Diese könnt ihr entweder direkt hier unten als Kommentar zu diesem Text hinterlassen, oder ihr sendet sie per E-Mail an unikassel.unbefristet[ät]posteo[punkt]de. Wir freuen uns darauf!

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