Am 01.April 2019 erschien in der HNA ein Interview mit dem Präsidenten der Universität Kassel, Prof. Dr. Reiner Finkeldey, zum Befristungsunwesen an unserer Hochschule. Wir begrüßen, dass das Thema mehr und mehr auf die Agenda der öffentlichen Diskussion kommt. Im Folgenden gehen wir auf die wichtigsten Argumente des Interviews ein. An tiefergehenden Erwiderungen auf die gängigsten Argumente der Hochschulleitung arbeiten wir, um diese in naher Zukunft zu veröffentlichen.
“Wir tun beispielsweise mit einem Personalentwicklungskonzept und Grundsätzen für eine faire Personalführung viel dafür damit alle Beschäftigten unserer Universität ihre Arbeit gerne machen. Nur so können wir unseren guten Ruf langfristig erhalten.”
Das Personalentwicklungskonzept mag in anderer Hinsicht hilfreich sein – in Bezug auf das Befristungsunwesen legitimiert es bestenfalls die bisherige Untätigkeit. Obwohl im Konzept auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zu universitären Karrieren von 2014 verwiesen wird, fallen die expliziten Äußerungen des Wissenschaftsrats zur notwendigen Entfristung vollständig unter den Tisch – so wird im Personalentwicklungskonzept Befristung vorwiegend durch die Notwendigkeit von Qualifikationsphasen gerechtfertigt, die Entfristung von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen nur anhand bestimmter Sonderfälle beschrieben. Dabei sprechen die Zahlen im Personalentwicklungskonzept für sich: Von den 2017 gezählten 1.590 wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sind gerade 500 mit einem Promotions- oder Habilitationsprojekt an der Universität – über die Befristungsverhältnisse der anderen erfahren wir hier nichts. Angesichts der aktuellen Ausschreibungen ist anzunehmen, dass auch diese auf ‘Qualifikationsstellen’ angestellt sind.
In diesem Sinne bleibt das Personalentwicklungskonzept 2017-2021 erst mal nichts weiter als eine Rechtfertigung des Status Quo. Dass dabei gerade die Vorgaben des Wissenschaftsrats nicht ernst genommen werden, verdeutlicht, dass die Universität Kassel hier nicht nur die Belange der eigenen Belegschaft ignoriert, sondern auch die wesentlichen Entwicklungen in Deutschland verschläft.
“Eine Zahl, die von der Initiative immer wieder angeführt wird, sind 96% angeblich befristeter Verträge. Diese Zahl bezieht sich aber auf ein bestimmtes Jahr und nur auf neu abgeschlossene Verträge.”
Wir haben NIE etwas anderes behauptet. Wir haben sogar immer gesagt, dass darunter sowohl vollständige befristete wie aufgestockte Stellen fallen.
Dass die Zahl “damit nichts mit dem Anteil befristet Beschäftigter zu tun hat” ist hingegen Unsinn. Sie gibt uns eine Idee über das Ausmaß der Befristungen und solange wir von der Unileitung keine Zahlen z.B. hinsichtlich des Umfangs der Aufstockungen bei den technisch-administrativ Beschäftigten bekommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als mit den anderweitig erhobenen Daten zu arbeiten.
Gerne kann die Unileitung sich die Mühe machen und auch die Anzahl der Vertragsabschlüsse der Jahre 2014, 2015, 2016 und 2018 auszählen, dann könnten wir in der Tat die Entwicklung besser beurteilen. Doch auch der Personalrat bestätigt die Einschätzung, dass die Anzahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse kontinuierlich gestiegen und inzwischen enorm hoch ist – in allen Beschäftigungsgruppen gibt es diesen Trend.
Wenn die Hochschulleitung jetzt angibt, dass es unter den technisch-administrativ Beschäftigten eine weit höhere Entfristungsquote gibt, als beim wissenschaftlichen Personal, stimmt das natürlich. Wir wissen aber immer noch nichts über den Anteil der Aufstockungen. Aufstockungen bedeuten häufig hohe finanzielle Unsicherheiten für die Kolleg*innen, denn sie mögen zwar eine halbe unbefristete Stelle haben, bangen aber regelmäßig darum, ob sie zu Jahresbeginn auch wieder die Viertel- oder Halbe-Stelle befristet obendrauf erhalten.
Zudem erwähnt der Präsident im Interview nicht bzw. operiert mit irreführenden Zahlen, dass es wichtige Einrichtungen an der Uni gibt, wie das Servicecenter Lehre (hier liegt der Anteil befristet Angestellter bei 64%, zwei der fünf entfristeten Stellen haben zudem einen befristeten Anteil), das International Office (Befristung liegt bei 58%), das Sprachenzentrum (mit extrem wenigen und zerstückelten entfristeten Mini-Stellen, ein Großteil der Sprachkurse wird zudem durch äußerst prekäre Lehraufträge abgedeckt, viele studentische Hilfskräfte stemmen die Sachbearbeitung und alle befristeten Angstellten arbeiten maximal 2 Jahre wegen der sachgrundlosen Befristung ihrer Stellen) oder UniTransfer (wo wir keine aggregierten Daten haben, aber wissen, dass die verschiedenen Abteilungen besonders schwer von auslaufenden Stellen, Arbeitsverdichtung und viel zu geringen Ressourcen geprägt sind) die zu sehr hohem Anteil befristet angestellte Kolleg*innen beschäftigen bzw. wo Festangestellte die liegen bleibende Arbeit nicht besetzter Stellen oder wegfallender Arbeitsplätze stemmen müssen.
2017 gab es 1.749 Einstellungs-, Aufstockungs- und Weiterbeschäftigungsverfahren (bei einer Gesamtmenge von ca. 2.870 Angestellten) – 1.670 davon befristet oder mit befristetem Anteil. Bei den Technisch-Administrativen Mitarbeiter*innen waren 76% der Neueinstellungen (also Weiteranstellung und Aufstockungen ausgenommen) befristet, beim Wissenschaftlichen Personal betraf dies 95%. Es sind also nicht bloß die prozentualen Anteile eines kleines Ausschnitts der Wirklichkeit erschreckend – die zugrundeliegende Gesamtmenge ist so hoch, dass sie einen sehr erheblichen Teil der Angestellten der Universität betrifft. Dass das Jahr 2017 eine absolute Ausnahme darstellt, ist nicht anzunehmen.
“Etwa 70 Prozent dieser Lehrkräfte [für besondere Aufgaben] sind mit Mitteln eingestellt, die uns nur befristet zugewiesen werden – aus dem Hochschulpakt 2020 vor allem.”
“Zehn solcher Stellen [Lehrkräfte für besondere Aufgaben] haben wir deshalb bereits entfristet”
Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfBAs) sollen nach der Aufgabenzuweisung des Hessischen Hochschulgesetzes (§ 66 HHG) vornehmlich dauerhafte und grundständige Lehre abdecken, sie sind damit eigentlich im Regelfall überhaupt nicht zu befristen. Die Universität Kassel hat jedoch auch im Vergleich mit anderen Hochschulen eine besonders hohe Anzahl dieser Angestellten. Laut GEW-Kodex-Check sind 79% aus dieser Kategorie von insgesamt 215 Stellen befristet (im Bundesvergleich liegt der Anteil bei 54%, in Marburg z.B. nur bei 25,45%). Wenn also zehn Stellen entfristet wurden, stellt dies einen minimalen Teil der gesamten Stellen dar und ist damit erst Recht keine aussagekräftige Zahl. Der Präsident sagt zudem, dass der Grund für die Befristung dieser Stellen die Art der Finanzierung ist, nämlich die Gelder aus dem Hochschulpakt 2020. Es gibt jedoch keinerlei rechtlich zwingende Begründungen dafür, Beschäftigte, die aus diesen Mitteln bezahlt werden, nur befristet anzustellen – ganz im Gegenteil ist einer der Ansprüche des Hochschulpakts 2020 für das Land Hessen, dass die Hochschulen „den Anteil kurzfristiger wissenschaftlicher Beschäftigungsverhältnisse reduzieren und den Anteil attraktiver unbefristeter wissenschaftlicher Beschäftigungsverhältnisse in geeignetem Umfang erhöhen.“ (Hochschulpakt 2016-2020, S. 4f) Von den am 3.4.2019 ausgeschriebenen 15 Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an der Universität Kassel ist dennoch gerade eine einzige unbefristet ausgeschrieben.
“In den nächsten drei bis fünf Jahren wollen wir das Verhältnis mindestens umkehren, das heißt einen Anteil von 70 Prozent oder mehr dieser Lehrkräfte [für besondere Aufgaben] auf festen Stellen beschäftigen.”
Wir freuen uns, dass die Hochschulleitung wenigstens bei einer Beschäftigtengruppe Handlungsbedarf sieht. Die Zielvorgaben reichen aber bei weitem nicht aus. Alle wissen, dass aufgrund des hohen Umfangs in Lehre und Betreuung der Studierenden für LfbAs eine Qualifikationsarbeit während der Arbeitszeit ausgeschlossen ist. Eine Befristung auf Basis des entsprechenden Gesetzes (WissZeitVG) ist also nicht zu rechtfertigen. Entsprechend sind ALLE LfbAs zu entfristen.
Aber die LfbAs sind bei weitem nicht die einzige Beschäftigtengruppe an der Universität, die unter Befristung leidet. Viele andere sind auch betroffen und verdienen eine umfassende Regelung. Die Ankündigung des Präsidenten zeigt: Planung und Zielvorgaben sind möglich! Wieso nicht für alle anderen Beschäftigtengruppen auch? Nichts anderes fordert die Initiative UniKassel Unbefristet.
“Zu einem großen Teil handelt es sich dabei [wissenschaftliches Personal] um Drittmittelpersonal. Das heißt, die Stellen werden aus Mitteln finanziert, die für ein bestimmtes, auf wenige Jahre angelegtes Forschungsprojekt eingeworben wurden.”
Das stimmt und es stimmt nicht. Die Mittel für sogenannte “Landesstellen” sind nicht befristet. Technisch-administratives Personal wird darauf meist entfristet angestellt, wissenschaftlich Beschäftigte hingegen nicht. Während es keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Hochschulleitung und UniKassel Unbefristet darüber gibt, dass Promotionsstellen befristet werden, so gibt es doch deutliche Differenzen in der auskömmlichen Ausgestaltung dieser Stellen (s.u.). Zudem fordern wir eine Entfristungsperspektive für bereits promovierte Kolleg*innen. Sie haben durch ihre Promotion hinreichend gezeigt, dass sie wissenschaftlich qualifiziert sind. Der Verweis auf den hohen Anteil befristeter Drittmittel ist hingegen richtig. Daraus aber schlicht eine umfassende Befristungspraxis abzuleiten ist wiederum falsch. Wir fordern von der Hochschulleitung, dass sie ein Konzept erarbeitet, wie trotz der befristeten Mittel, gute, langfristige Arbeitsplätze möglich sind. Dazu gehört eine systematische Personalplanung, dazu gehören finanzielle Pool-Lösungen. Die Praxis zeigt ja bereits heute: Viele Angestellte sind in aufeinanderfolgenden Projekten mit Kettenverträgen angestellt, da ihre Expertise projektübergreifend gebraucht wird. Es ergibt wenig Sinn diese immer wieder auszutauschen. Dementsprechend sollten auch die Beschäftigungsverhältnisse ausgestaltet sein. Erstaunlicherweise scheint selbst eine systematische Personalplanung nicht im Interesse der Hochschulleitung zu sein. Da helfen auch alle Verweise auf “faire Personalführung” oder das “Personalentwicklungskonzept” nicht weiter, wie wir oben ausgeführt haben.
“In den Fachbereichen sind aber viele aus dem Grundetat der Uni finanzierte Qualifikationsstellen befristet – also Stellen auf denen junge Wissenschaftler an ihrer Promotion oder Habilitation arbeiten. Hier sagen wir als Hochschulleitung ganz klar: Das soll auch so bleiben zum Wohl der Universität. Auch in Zukunft müssen Kollegen für ihre Promotion oder Habilitation Stellen an unserer Hochschule bekommen. Das funktioniert nicht, wenn wir alle auf Dauer behalten.”
Der Präsident suggeriert hier, es bestünde eine Forderung danach, alle Promotionsstellen zu entfristen. Dies entspricht nicht unserem Anliegen, wir haben es auch nie behauptet und stellen immer wieder klar, dass uns hiermit falsche Aussagen untergeschoben werden. Was wir fordern sind auskömmliche und sinnvoll strukturierte Stellenumfänge, die dazu führen, dass Nachwuchswissenschaftler*innen tatsächlich ihre Promotion in der Zeit schaffen, die ihnen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz dafür zur Verfügung stellt – und dies sind insgesamt bis zu sechs Jahre. Der einzige Grund, den dieses Gesetz für die Befristung vorsieht, ist die Arbeit an der Qualifikationsarbeit, das heißt: Die Stelle muss auch so gestaltet sein, dass dieses Ziel in der befristeten Zeit und während der Arbeitszeit erreicht werden kann. Nach der Promotion besteht kein zwingender Grund dafür, dass Wissenschaftler*innen noch eine Habilitation verfassen – es sei denn, sie streben eine der wenigen Professuren an. Auch hier wären Zahlen wichtig, die aufzeigen, wie viele Promotionen und Habilitationen an der Uni Kassel tatsächlich im Rahmen der bestehenden Qualifikationsstellen abgeschlossen werden, wie viele erst danach fertig werden und wie viele der Promovierenden überhaupt an der Uni angestellt sind.
Das deutsche akademische System stellt mit dem Festhalten an dieser lebenslangen Qualifikation ohne Aussicht auf dauerhafte Perspektiven einen absoluten Sonderfall dar, in vielen Ländern ist die abgeschlossene Dissertation ausreichend, um entfristet an der Uni in Lehre und Forschung zu arbeiten (unter den aktuellen Ausschreibungen für wissenschaftliches Personal findet sich am 4.4. eine einzige unbefristete Stelle, bei der – trotz Gehalt nach 13 TV – noch eine Habilitation als „von Vorteil“ angesehen wird). Die juristischen Möglichkeiten für eine Entfristung sind gegeben, sie müssen von der Uni Kassel nur angewendet werden.
“Auch in Zukunft müssen wir junge Kollegen für ihre Promotion oder Habilitation Stellen an unserer Hochschule bekommen”
Umgekehrt wird ein Schuh draus – die Universität ist durch die hohe Befristungsquote keine attraktive Arbeitgeberin. Viele “junge Kollegen” und Kolleginnen kehren der Wissenschaft gänzlich den Rücken, da in ihr eine sozialverträgliche Lebensplanung faktisch unmöglich ist.
Qualitativ hochwertige Forschung wird vor allem durch sichere Arbeitsplätze gewährleistet – dann gibt es keinen Konformitätsdruck gegenüber Drittmittelgebern, keine Verschwendung kostbarer Arbeitszeit in das Verfassen von unzähligen Finanzanträgen.
Studien zeigen zudem, wie hoch und schädlich die psychische Belastung für Arbeitnehmer*innen im wissenschaftlichen Betrieb ist – die zeitliche Befristung ist dabei unter den primär Stress erzeugenden Faktoren (Lesener und Gusy 2017). Laut einer Studie über Promovierende, leidet ein Drittel an Symptomen von Depression und anderen psychischen Erkrankungen (Levecque et al 2017). Die ständige Unsicherheit und Anspannung steigert also Angst, nicht Arbeitsmotivation und erst recht nicht Kreativität. Zudem führen die Befristungen zu verstärkter Konkurrenz unter den Kolleg*innen – dies fördert nicht den wissenschaftlichen Austausch, die kooperierende Entwicklung gemeinsamer Gedanken, sondern das Vorenthalten wichtiger Erkenntnisse für den eigenen Karriereweg.
“In diese Richtung planen wir, eine Leitlinie zu unseren Arbeitsbedingungen zu verfassen.” Wieso gibt es so eine Leitlinie nicht längst? “Das hängt auch mit dem Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung zusammen.”
Eine Leitlinie ist nicht mehr als das Verkünden guter Absichten. Zwar begrüßen wir es, wenn die Hochschulleitung anerkennt, dass es ein Problem mit der Befristungspraxis gibt, doch sind wir überzeugt, dass es erstens einer verbindlichen und überprüfbaren Vereinbarung bedarf und dass an dieser zweitens die Betroffenen bzw. ihre Interessenvertretung, also der Personalrat, beteiligt sein müssen.
Denn wie der Präsident ganz richtig formuliert, braucht es für unterschiedliche Beschäftigtengruppen unterschiedliche Maßnahmen – es sind jene Personen, die selber tagtäglich mit Arbeitsverhältnissen und Einstellungsverfahren zu tun haben bzw. jene, die von den verschiedenen Facetten des Befristungsunwesens direkt in ihrem Arbeitsumfeld betroffen sind, deren Wissen es auch braucht, um effektive Lösungen zu erarbeiten.
Eine überprüfbare Regelung bedeutet, dass sehr konkrete Zielvorgaben erstellt werden, die dann unter Beteiligung der Beschäftigtenvertretung in ihrer Umsetzung zu überprüfen sind. Zu viele gute Absichtserklärungen waren schon zu schwammig und wirkungslos, als dass wir eine einseitige und uneindeutige Leitlinie gutheißen könnten.
Zudem schiebt der Präsident mit seiner Aussage wieder einmal die Verantwortung an die Landesebene ab, als habe die Universität Kassel als Dienststelle weder eine Pflicht noch die Möglichkeiten, Arbeitsverhältnisse im Sinne der Angestellten, aber auch im Sinne einer guten Lehre und auch sinnhafter Arbeitsabläufe zu gestalten. Mindestvertragslaufzeiten und Mindeststellenumfänge werden der Hochschulleitung mitnichten durch das Land vorgeschrieben – sie hätte schon längst selber handeln können. Das Präsidium muss diese Verantwortung endlich anerkennen.
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